1972 - 1985

Der Granada – das Chromjuwel

Der 1972 präsentierte Granada war der letzte grosse Ford, der sich in der gehobenen Mittelklasse noch mit Mercedes und BMW anlegen konnte – und mit Erzkonkurrent Opel. Ganz frühe Exemplare mit «Hüftschwung» sind inzwischen selten geworden.

Veröffentlicht am 25.06.2022

Die Autowelt war zum Ausklang der 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre noch eine ganz andere, als wir sie heute kennen. Gerade für unsere jüngeren Leser kaum vorstellbar, aber Ford und Opel brachten einst viele Kunden ins Grübeln, ob sie wirklich einen Mercedes kaufen sollten. Was gab es noch? BMW etablierte sich mit dem 2500 in der Luxusklasse gerade wieder neu, Audi war noch Mittelklasse. Gerade in der Schweiz fuhren solvente Menschen auch gerne Amerikaner von Chrysler, Ford USA und General Motors. Lancia, Volvo oder der Citroën DS waren ebenfalls im Visier der unteren Oberklasse- oder oberen Mittelklasse-Käufer – so ganz einfach ist die Definition dann doch nicht.


Der ewige Rivale heisst Opel

Insbesondere Opel hatte mit der mächtigen KAD-Reihe alias Kapitän-Admiral-Diplomat drei ganz heisse Pfeile mit bis zu acht Zylindern im Köcher. Der Commodore von 1967 bot einen Sechszylinder in der weniger ausladenden Rekord-Karosserie. 

Aber die damals noch stark autark agierende britische Ford-Tochter in Dagenham konnte mit Zephyr und Zodiac gut parieren, und in Köln liefen die sechszylindrigen 20 und 26 M vom Band. Aus Kosten- und Rationalisierungsgründen drängte das Mutterhaus in Dearborn (USA) darauf, dass die Zweigleisigkeit zu einem Ende kommen und man sich – wie schon bei Escort und Capri – zu einem einzigen Modell zusammenraufen müsse.

«Ford hat heute eine neue Modellreihe vorgestellt. Sie ersetzt den deutschen 17/20/26 M sowie den Zephyr/Zodiac aus Grossbritannien und wird auf dem wachsenden Markt für Wagen der gehobenen Mittelklasse und Spitzenklasse konkurrieren. Zu einem marktgerechten, für einen weiten Kundenkreis erschwinglichen Preis bieten die Wagen dieser neuen Modellreihe viel Auto fürs Geld, ein Maximum an Komfort, Geräumigkeit, Fahrsicherheit und Ausstattung», war in der Pressemitteilung zu lesen. 

Das Ergebnis hiess Consul oder Granada und feierte auf dem Genfer Salon 1972 seine Weltpremiere – und bekam eher gemischte Kritiken. Insbesondere die Karosserie, die es als viertüriges Stufenheck, zweitürige Fliesshecklimousine – das Wort «Coupé» wurde offiziell nicht verwendet – und fünftürigen Turnier gab, erschien vielen Betrachtern zu barock oder gar altmodisch. Ford hielt sich noch stark an den ausladenden «Coke-Bottle»-Stil, den Erzkonkurrent Opel bei Rekord und Commodore gerade eben zugunsten einer gestreckten, glatten Linie abgestreift hatte. Und es gab den Rekord auch als zweitürige Limousine und zweitürigen Kombi alias CarAVan. Man hinkte Opel selbst in Sachen Design und Modellvielfalt hinterher. Hinzu kam, dass das Cockpit mit sechs, beim Consul zwei tiefen «Röhren» ebenfalls nicht gut beurteilt wurde.


Technik und Luxus

Vorn gab es doppelte Querlenker, hinten Einzelradaufhängung mit Schräglenkern und Schraubenfedern, während viele, auch teurere, Konkurrenten noch mit Starrachsen fuhren – ebenfalls der Opel Commodore. Doch gerade das Fahrwerk machte die Liste an Kritikpunkten nur noch länger. Die damaligen Tester bemängelten schon anlässlich des Presselaunchs, der passenderweise in der spanischen Stadt Granada stattfand, dass die Federung zwar auf schlechten Strassen sehr komfortabel, aber viel zu weich, die Strassenlage daher zu «amerikanisch» wäre. Das traf die Ingenieure hart, hatten sie doch im Gegensatz zu den eher einfach gestrickten Vorgängern viel Gehirnschmalz ins aufwendige Fahrwerk investiert.

Die Kunden störte all dies wenig. So war dem Granada dank hoher Qualität, üppigem Platzangebot und moderaten Preisen viel Erfolg beschieden. Er verkaufte sich diesseits und jenseits des Ärmelkanals prima, nicht zuletzt, weil er eine breite Palette abdeckte. Insbesondere der Turnier stand bei Handwerkern, Gewerbetreibenden oder Familien hoch im Kurs. Nur Opel Rekord, Peugeot 404 und 504 oder DS und CX Break von Citroën konnten ihm das Wasser reichen – oder allenfalls ein Amerikaner.

Probleme bot auch die Namensgebung. Die Engländer wollten ihre traditionellen Modellbezeichnungen Consul und Zephyr weiter nutzen, Deutschland suchte nach einem griffigen Namen, weil eine mehr oder weniger zum Hubraum passende Zahl und der Zusatz «M» für «Meisterstück» veraltet waren. Darum konnte man sich nicht einigen und gab dem Neuling gleich zwei Namen. Die einfacher ausgestatteten und fast immer vierzylindrigen Versionen hiessen Consul, den es optional ebenfalls mit einem V6-Motor gab. Im Granada werkelte dagegen immer ein V6. Zudem hatte er mehr Chrom, eine üppigere Instrumentierung und mehr Ausstattung. Barock hin oder her: Mit dem Granada war man fein angezogen und durfte guten Gewissens neben einem Mercedes /8 parkieren. 


Mehrere Verjüngungskuren

Die Medienkritik blieb weder in Dagenham noch in Köln ungehört und löste heftige Aktivitäten in der Design- und Entwicklungsabteilung aus. Bereits zu Beginn des Jahres 1974, also nach nur anderthalb Jahren Bauzeit, wurde der markante Hüftschwung bei der auf diesen Seiten gezeigten Fastback-Limousine begradigt: ein sehr kostspieliger Eingriff, welcher der jetzt «Coupé» genannten Karosserie auch nicht half, denn es gab jetzt die zweitürige Stufenheck-Limousine. Das Topmodell war nun der Ghia mit aufgesetztem Chromgrill. Ein sportlich aufgezäumter GT, der paradoxerweise Consul statt Granada hiess, vervollständigte die Palette.

Der Frühling 1975 brachte noch mehr Neuerungen. Die Kunden kamen mit den zwei Bezeichnungen für ein und dasselbe Auto nicht klar. Darum wurde – auch in Grossbritannien – der Consul fallen gelassen. So trugen selbst die Vierzylinder jetzt den schönen andalusischen Namen. Und das Cockpit war dank eines grossen Instrumenteneinsatzes anstelle der Einzeluhren wesentlich schlichter geworden. Kühlergrill und Fensterrahmen präsentierten sich ebenfalls in zeittypischem Mattschwarz anstatt in Chrom. Die wichtigste Neuerung war allerdings das viel straffer abgestimmte Fahrwerk, das europäischem Geschmacksempfinden jetzt wesentlich näherkam.


Pininfarina hilft mit

Eine Verjüngung erhofften sich die Verantwortlichen auch vom umfassenden und von Pininfarina inspirierten Facelift von 1977, bei dem das Coupé entfiel. Es machte aus dem Granada II fast ein neues Auto. Er trug zudem eine blaue Ford-Pflaume, die dem Vorgänger noch verwehrt war. Doch einmal mehr hatte Ford gegenüber Opel das Nachsehen. Rüsselsheim präsentierte zeitgleich anstatt eines Facelifts einen komplett neuen Opel Rekord E. Ein Jahr darauf folgte das luxuriös-sportliche Duo Senator/Monza. Aber da machte Ford schon nicht mehr mit, denn der 1985 erschienene Scorpio mit modernem Aeroheck war kompromissbehaftet. Und die viel zu spät nachgeschobenen Stufenheck- und Kombiversionen konnten die Misere nicht verhindern. Das missratene Facelift von 1994 machte alles noch schlimmer. 1998 war Ford nur noch Mittelklasse ...

Zurück zum 1972 lancierten Granada. Wie kommt man zu einem solchen Auto? Die Eltern des Autors stiegen wegen Familienzuwachs vom VW Käfer auf den Ford 17M Turnier um. Als die ersten Fotos des «neuen grossen Ford» vom Genfer Salon 1972 in den Zeitungen kursierten, hatte der Händler noch keine Autos, aber schon einen Prospekt, der übrigens immer noch existiert. Ungesehen wurde der Granada Turnier mit 2,3 Liter grossem V6-Motor in Kupferbraun bestellt. Diese Farbe ist heller als das auf diesen Seiten abgebildete Dunkelbraun, das übrigens tatsächlich «Gold metallic» heisst. Nostalgie war ein weiterer Grund, denn als der Führerschein in der Tasche war, lag der Familien-Granada längst auf dem Schrott. Also musste ein eigener her.


Ein halbes Jahrhundert jung

Dieses Exemplar hatte eine glücklichere Kindheit, wurde es doch 1973, nachdem es ein Jahr in einem Showroom rumstand, von einem älteren Herrn in Nordschweden gekauft. Nach weiteren, dokumentierten Stationen kam der «Granni» 2007 schliesslich zum heutigen Besitzer und hat aktuell belegte 34 500 Kilometer auf dem Tacho. So bekommt man einen authentischen Eindruck, wie es damals war, vor fünfzig Jahren. Brauner Kunststoff, Holzfolie und das aufpreispflichtige Kunstleder verströmen Wohnzimmer-Atmosphäre. Das Lenkrad ist dünn und gross, die Lenkkräfte sind – ohne Servo – hoch und die Sitze bieten kaum Seitenhalt. Aber Platz gibt es auch im Fond viel mehr als in heutigen Autos. So sitzt man freier und luftiger, da die Verkleidungen weniger üppig und die Säulen schlanker sind. Nur die Übersicht nach hinten ist schlecht — und die Kofferraumöffnung so klein, dass kein Getränkeharass durchpasst.

Der technisch anspruchslose Köln-V6 mit Grauguss-Block und Zentralnockenwelle erfreut sich heute noch grösster Popularität. Er ist einfach zu warten und praktisch unzerstörbar. Sein kerniger, metallischer Klang ist unverwechselbar. Die 108 PS der 2,3-Liter-Version lassen sich von Beladung und Steigungen – oder beidem zusammen – nicht beeindrucken. Der Verbrauch ist bei kaum gefahrenen Oldtimern zwar unwichtig, aber er liegt bei 12 bis 13 l/100 km. Sicher, ein fünfter Gang wäre kein Luxus, aber den fanden die amerikanisch-englisch-deutschen Konstrukteure überflüssig – schliesslich hatte Opel auch keinen. 

 

Technische Daten

Ford Granada 2,3 V6 Fastback

V6-Benziner, 2293 cm3, Bohrung x Hub 90 x 60,1 mm, 2 Vergaser, 79 kW/108 PS bei 5000/min, 177 Nm bei 3000/min,  4-Gang manuell, Hinterradantrieb, selbsttragende Blechkarosserie, vorn Querlenker, Schraubenfedern, Stabilisator, hinten Schräglenker, Schraubenfedern, 0–100 km/h 13,8 s, Spitze 166 km/h,L/B/H: 4572/1791/1342 mm, Reifen 175 SR14, Leergewicht 1235  kg.

Bauzeit alle Granada: 1972 bis 1985 (Consul bis 1975), Stückzahl alle Consul/Granada: 1 642 084,
Preis neu: 17 090 Franken (2,3 V6 Fastback), Preis heute: 14 000 bis 19 000 Franken (Zustand 2).

 

Text: Stefan Fritschi
Fotos: Vesa Eskola

 

 

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