Classic

Ferrari 348tb - Der Ungeliebte

Der Ferrari 348 war nicht jedes Ferraristis Sache. Er war „zu wenig“, hatte den quasi gesetzlich notwendigen Einfluss des grossen Enzo nicht erhalten und sowieso, die Formensprache war trotz des Einfluss‘ von Pininfarina nicht italienisch genug. Zeit für eine Retrospektive.

Veröffentlicht am 01.02.2023

Und dann auch noch Gelb! Wie kann man nur? Naja, man muss das auch positiv sehen, es gibt nicht viele Autos, welche in Gelb genauso gut funktionieren wie in Rot. Der 348 gehört definitiv zu der exklusiven Gilde an Sportwagen, welche in gelb nicht aussehen wie die geschmackstechnische Totalverirrung eines sonderbaren Individualisten. Diesem tb steht das „Giallo Fer 102“ perfekt.

Auch im offiziellen Oldtimerstatus noch erfrischend frisch. 

 

Sporttaste? Fehlanzeige. 

Aber, es soll ja nicht nur gut aussehen, es soll auch noch besser fahren. Und der Anspruch an einen Ferrari war damals wie heute hoch, wenn es um die fahrdynamische Komponente ging. Nur, wir schreiben das Ende der 80er Jahre, da war in Modena noch nix mit Fahrdynamikprogrammen, adaptiven Stossdämpfern und elektrisch unterstützten Lenkungen. Oder anders gesagt, es gab keine Sporttasten. Ein Ferrari hat gefälligst immer Sport zu sein, ohne Knopfdruck.

Keine Spoiler, keine Flaps. Zeitlos. 

 

Mechanische Tücken

Die Kupplung verlangt eine gewisse Entschlossenheit zum Wadentraining. Die Lenkung ist, dank (?) des Mankos an Servounterstützung bei niedrigen Geschwindigkeiten etwa so leichtgängig wie die Tür zu einem Luftschutzbunker. Und beim Getriebe muss man sich bewusst sein, dass der zweite Gang im Kaltzustand nur mit sanfter Gewalt dazu zu bringen ist, seinen Job protestfrei zu erledigen. Rohe Gewalt hilft nicht, der 348 hat das letzte Wort. Basta!

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Gated Community. Das Klicken der offenen Schaltkulisse zeugt von einer befriedigenden und gleichzeitig widerspenstigen Mechanik.  

 

Die Brembo unter den Spassbremsen? 

Also müsste man meinen, dass das Auto ein absoluter Krampf zu fahren und damit die Brembo unter den Spassbremsen ist. Und weil dies zumindest die halbe Wahrheit ist, wäre das abschliessende Urteil nur teilweise standfest. Vielmehr fordert dieser Ferrari den Fahrer nicht nur körperlich, sondern auch geistig auf einem hohen Niveau. Immer im Hinterkopf: dies ist ein V8-Mittelmotorsportwagen aus einer Zeit, wo eben noch kein elektronisches Fangseil Schlimmeres verhindert, sollte man dann doch mal die Grenzen der Physik ohne den Passierschein A38 übertreten. Der 348 ist pur, roh und erfrischend kompromisslos in seinem Charakter. Und damit ist er de facto auch gefährlich genug, um das steigende Pferd mit Recht zu tragen.

Frechheit!

 

Schmeichelt jeder Architektur zuverlässig. 

Das Auto ist also tatsächlich eine Frechheit auf Rädern und Frechheiten sind eigentlich immer gut für so manchen Spass. Was ebenso bleibt ist die erstaunliche Erkenntnis, dass der erste Ferrari nach Enzos Ableben zwar schon mehr als dreissig Jahre auf der Welle hat, aber trotzdem noch erstaunlich modern dasteht. Man mag den 348 in seinen Anfangszeiten nicht überall gemocht haben, aber den Alterungsprozess über all die Jahre hat er allen Unkenrufen zum Trotz bravourös gemeistert. Das soll ihm dann mal ein moderner Nachfahre erstmal nachmachen. (Ebenso nicht überall geliebt: der Purosangue)

Text und Bilder: Markus Kunz

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