Land Rover alt und neu

Land Rover – Kisten für alle Fälle

Der Ur-Land Rover ist an Einfachheit kaum zu überbieten. Dafür geniesst er hohen Kultstatus. Wir haben ihn dem aktuellen Defender 90 gegenübergestellt und nach Vergleichbarem gesucht.

Veröffentlicht am 26.07.2021

Das einfache Schema früher Land Rover muss sich auch Ludovic Schneiter eingeprägt haben. Sein Grossvater hatte sich 1985 ein reichlich gebrauchtes Exemplar der Serie 1 besorgt und sich es als landwirtschaftlichen Motorkarren mit 25 km/h-Limit wieder hergerichtet. Dazu benötigte der Landy zwar einen neuen Motor, aber die wesentlichen Komponenten blieben dabei unangetastet. Als Fahrzeug für alle Zwecke stand der Brite aus Solihull in den englischen Midlands für weitere zwei Jahrzehnte im Einsatz, dann verkaufte der Herr den Land Rover weiter. In der Erinnerung des jungen Mannes aber blieb er hängen.

Das führte dazu, dass sich der Romand aus Yverdon nie vom Gedanken lösen konnte, irgendwann selber im Land Rover unterwegs zu sein. Zunächst war es ein gepflegtes Exemplar der Serie 3, der als Einstieg in das Thema diente. Doch das reichte nicht. Es sollte eben doch ein Serie 1 sein – am liebsten jener des Grossvaters. Allerdings hatten sich in der Zwischenzeit die Spuren dieses Wagens verwischt. Schneiter aber fand stattdessen ein bestens erhaltenes Exemplar desselben Jahrgangs 1952, ein Land Rover 80“ – so benannt nach dem Radstand – aus anderer Quelle. Nur sind die Dinge hierzulande oft eng miteinander verwoben: Denn jener Verkäufer ist nicht nur ein guter Freund des Schreiberlings dieser Zeilen, letzterer ist auch seit über zehn Jahren Hüter des Land Rovers von Ludovic Schneiters Grossvater. Ein Happy-End und glücklicher Anfang mit vielen historischen Bildern.

Alt, ganz alt

Szenenwechsel: Wir sind soeben links von einem Feldweg in das Unterholz abgebogen. Drei Hebel ragen beim Serie 1 aus dem Mitteltunnel, jeder wird bei diesem Vorgang mindestens einmal bewegt: Schalthebel auf Neutral, Geländereduktion nach hinten gezogen, einmal kräftig auf den gelben Knopf gedrückt und die Vorderräder zugeschaltet. Dann rumpelt der 80er über Baumstrünke und ausgefahrenen Karrwege. Viel zu tun gibt es nicht ausser das Lenkrad mit den Daumen ausserhalb der Speichen festzuhalten und das Auto über die Hindernisse rollen zu lassen. Das geht auch bei Standgas.

Auch im modernen Defender braucht es vor dem Ritt abseits der Strasse wenig Aufwand, um fit zu werden. Wichtigster Knopf ist jener für die Geländereduktion. Danach operiert das Auto wie von selbst. Etwas irritierend ist einzig der Umstand, dass der Motor nicht in Eigenregie nachregelt wenn etwa ein Rad ansteht und der Wagen im Leerlauf im Wandler hängt. Dann braucht es einen Gassstoss und der Defender wandert mit einem Ruck über das Hindernis.

Offene Bauart

In Ludovic Schneiters Wagen hilft die offene Bauart, die Übersicht zwischen den Bäumen nicht zu verlieren. Ein Verdeck, obwohl der Serie 1 auch mit Seitenscheiben und Plache geliefert wurde, hat Schneiters 1952er Landy schon lange nicht mehr gesehen. Zudem sind die Flanken so gerade wie bei einem Billy-Gestell vom schwedischen Möbelhaus.

Beim Defender 2021, selbst in der Basisversion wie wir sie geprüft haben, gibt es Kameras rundum – ja, selbst um die Räder im Blick zu behalten. Auf einem breiten Fauteul sitzend, kann der Ritt über den Waldboden so ganz bequem per Bildschirm beobachtet werden. Das Vorbeikratzen der Äste am neuen Defender schmerzt aber in den Ohren und im Herzen – im alten 80 inch hingegen ist man besorgt um die Äste, die einem nach dem Vorbeistreichen an der Frontscheibe ins Gesicht watschen. Allerdings lässt es sich auf den einfachen Sitzkissen bestens herumturnen oder man klappt die Scheibe ganz herunter und hält nach herannahendem Unterholz ausschau.

Technik für draussen

Ab 1951 verbaute Rover statt des ursprünglichen 1,6-Liter-Motors – aus der Rover-Limousine P3 –  einen aufgebohrten Zweiliter. Mit 52 PS sorgt er für ausreichend Vortrieb auf der Strasse. Bemerkenswert ist der Umstand, dass laut Owners-Manual die Maschine nach Betätigung des Chokes nach zwei Umdrehungen laufen sollte – sonst sei etwas nicht in Ordnung. Warm startet der Landy in der Regel nach einer Vierteldrehung. Unser Fotoexemplar ist ein Standard-Modell ohne Heizung und mit nur einem Scheibenwischer, für die Schweiz eher selten. Die Premiere des Landys wäre 1948 für Genf im März gedacht gewesen, was als prestigeträchtiger erachtet wurde als der Salon von Amsterdam Ende April desselben Jahres, aber man war in Solihull noch nicht dazu bereit. Zudem war der Wagen nur als Zwischenlösung für zwei bis drei Jahre gedacht.

Doch fast 30000 Land Rover konnte die Rover Company Limited alleine zwischen 1948 und 1953 verkaufen, die meisten davon in den Export. Das war mehr als von der 1949 vorgestellten Limousine P4.

Der gesamte Aufbau des Serie 1 besteht aus Aluminium respektive einer Alu-Magnesium-Legierung genannt Birmabright, mit Ausnahme der Spritzwand zwischen Motor und Kabine. Das Leiter-Chassis hat geschlossene Kästen. Diese sind, mangels entsprechenden Pressen im Werk und damals der einfacheren Verfügbarkeit aus simplem Flacheisen zusammengeschweisst. Beim Serie 1 stellt das Verfahren aufgrund der Materialgüte selten ein ernstes Problem dar, bei späten Serie-Land-Rovern ist jedoch das Chassis allzu häufig das erste tragende Teil, das durchrostet…

Ludivic Schneiters Land Rover ist ungeschweisst. Der Aufbau wurde einmal neu gestrichen – in der Originalfarbe Petrolgrün. Haube, Türen und Ladeklappe lassen sich leicht herausschieben, exponierte Kanten und Ecken der «Karosserie», sofern davon überhaupt gesprochen werden kann, sind mit verzinkten Stahlkanten geschützt. Erstaunlich ist die Sitzkapazität des 3,50 Meter langen Autos: sieben Personen, drei vorne, vier hinten. Dazu darf der Landy 1,5 Tonnen ziehen.

Der Tank sitzt unter dem Beifahrersitz, gegenüber gibt es eine mit Vorhängeschloss verschliessbare Werkzeugkiste. Ansonsten kennt das Auto nur einen Zünddorn, der sich auch mit dem Sackmesser austricksen lässt. Und in der bescheidenen Instrumentenbrett müssen ein Tacho, eine Benzinuhr, ein Voltmeter, zwei Steckbuchsen für eine Bordlampe und der Schalter für die Instrumentenbeleuchtung genüügen. Das Licht wird mit dem Zünddorn eingeschaltet. Unter dem Tableau sitzen der Anlasschalter, der Choke und das Handgas.

 

Neu und anders

Für Ludovic Schneiter ist der erste Land Rover die reine Lehre, der Ursprung der Idee. Und klar, diese Sicht ist verständlich, selbst wenn heute eine jüngere Generation weit weniger Mühe hat, einen Defender der 1990er-Jahre als Land Rover zu identifizieren, als das Urvieh aus den frühen 1950er-Jahren. Soweit ist alles klar.

Nun gibt es seit geraumer Zeit einen neuen Defender, jüngst auch wieder als kurzen Dreitürer. Die Frage, ob dies ein richtiger Defender ist, wollen wir gar nicht erst zu beantworten versuchen. Sagen wir es so: Er ist der Defender für das 21. Jahrhundert. Und es ist ein wirklich brillantes, sehr kompetentes Auto – das sowohl auf der Strasse wie im Gelände. Während aber der Ur-Land-Rover als Arbeitsgerät gedacht war, taugt der neue Defender auch hervorragend als Alltagsfahrzeug mit Komfort. Die Einzelradaufhängung rundum etwa sorgt für hohen Abrollkomfort und der Reihen-Sechszylinder-Diesel ist ein richtiges Sahnestück –er tönt zudem auch noch gut.

Klar hätte man bei Land Rover auch einen anderen Weg gehen können und den Defender-Nachfolger als Einfachst-Offroader im Stile aktueller Pick-Ups anbieten können – und dabei manchen Aspekt mit historischen Hintergrund ignorieren können. Die Besitzer des Landy waren stets frei in ihrer Interpretation wozu er denn gut sei, was das Werk bald auf den Slogan: «The most versatile vehicle in the world» – das vielseitigste Fahrzeug der Welt gebracht hat. Der Land Rover war das erste Off-Road-Fahrzeug, das nicht zu militärischen Zwecken entwickelt worden war. Der neue Defender folgt diesem Grundsatz. Nur sind es heute etwa Computer, Hybridtechnologie, Kunst- und Verbundstoffe oder dergleichen, die wir weitherum nutzen. Warum also sollte man diese für einen modernen Defender weglassen?

Wer sich fragt, was denn in 50 Jahren noch fahren wird, der könnte auf den Serie 1 tippen. Dagegen halten wir, dass diese Vermutung höchstens in einem apokalyptischen Mad-Max-Szenario Platz hat. Viel eher ist es möglich, dass beide noch fahren werden. Der frühe erste als Zeitzeuge der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der aktuelle dann als jene Interpretation des Themas, die genau in seine Zeit gepasst hat.

Text: Martin Sigrist

Bilder: Vesa Eskola

Land Rover 80" Series 1 1952 von Ludovic Schneiter

Land Rover Defender 90 D200 AWD 2021 von Jaguar Land Rover Schweiz AG, Safenwil

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